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Um genauere Einblicke zu erhalten, wie sich die Lage der freien Mitarbeiter*innen an den Häusern kurz nach Eintritt der Krise gestaltet, hat das ensemble-netzwerk die Umfrage „Einkommensausfälle wegen Corona – Wirst Du bezahlt?“ durchgeführt. Diese diente auch dazu, die Zahlungsmoral der deutschen Theater, in erster Linie der öffentlichen und öffentlich finanzierten, aber auch der privaten und freien Theater und Companies zu erfassen, um daraus die soziale Lage der freien Künstler*innen bzw. der Künstler*innen ohne derzeit festes Engagement abzuleiten und weiteren Handlungsbedarf deutlich zu machen.
Erfasst wurden dabei 94 der 140 öffentlich geförderten Theater in Deutschland, das entspricht 67% aller öffentlichen Theater. 71,56% der Teilnehmer*innen waren an den Theatern sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Sie sind damit im engeren Sinne des Arbeitsgesetzes Arbeitnehmer*innen – und nicht vermeintlich „freischaffend“ – und hätten nach Auffassung des ensemble netzwerk e.V. einen größeren Schutz erwarten dürfen. Nur 15,03 % der Teilnehmenden gab an, zu 100% ausgezahlt worden zu sein, alle anderen wurden anteilig oder gar nicht bezahlt und/oder erhielten keine Informationen, obwohl abgeschlossene Verträge vorlagen.
Die hauptsächlichen Begründungen für die Einstellung der Lohnfortzahlung waren die im Fall der Corona-Pandemie sehr umstrittene „Höhere Gewalt“ sowie behördliche Anordnung, mit denen Risiken und Lasten einseitig auf die Künstler*innen abgewälzt werden. Hinzu kommt laut ensemble netzwerk e.V. regulärer Vertragsbruch in Größenordnung, da die Verträge zivilrechtlich nach wie vor Bestand haben und deren Erfüllung einklagbar bleibt. Aufgrund der Ergebnisse konstatiert der ensemble netzwerk e.V. eine größtenteils mangelhafte Zahlungsmoral und ein, hinsichtlich Personal-Fragen nicht ausreichendes Krisenmanagement der Theater-Leitungen und der für die Theater verantwortlichen Behörden.
Ergebnisse im Überblick:
An der Umfrage „Einkommensausfälle wegen Corona – Wirst Du bezahlt?“ nahmen 559 Personen teil. 475 Teilnehmenden schlossen alle Fragen ab.
Erfasste Theaterhäuser
Erfasst wurden dabei 94 der 140 öffentlich geförderten Theater in Deutschland, dasentspricht 67% der Theater und mithin eine repräsentative Größe. Die Namen der Theater liegen vor.
Anstellungsverhältnisse der Teilnehmenden
71,56% der erfassten Künstler*innen waren an den Theatern sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Sie sind damit im engeren Sinne des Arbeitsgesetzes Arbeitnehmer*innen.
28,44% der erfassten Künstler*innen waren an den Theatern mit Werk- oder Honorarverträgen beschäftigt. Arbeitsrechtlich sind sie damit als selbstständige Gäste einzustufen.
Auszahlung der Gagen
Nur 15,03 % der Teilnehmenden gab an, zu 100% ausgezahlt worden zu sein.
29,07 % wurden nur teilweise ausgezahlt.
36,31 % gaben an, gar nicht bezahlt zu werden.
18,96 % hatten zum Zeitpunkt der Befragung noch keine Angaben darüber, ob sie bezahlt würden und in welcher Höhe.
Auszahlung an den öffentlichen Theatern in Deutschland
An 25,5% der Häuser sind die Gagen voll ausgezahlt worden.
An weiteren 25,5% sind die Gagen anteilig ausgezahlt worden zu sein.
An 37% der Theater wurden Gagen nicht ausgezahlt.
An weiteren 12% wurden die Gagen anfangs teilweise, zu späteren Zeitpunkten allerdings nicht mehr ausgezahlt, so dass die Gruppe der Theater ohne Gagenzahlung auf insgesamt 49% anwächst.
Begründung für die Einstellung der Gagenzahlung
32,09% gaben an, die Begründung für die (vorläufige) Einstellung der Lohnfortzahlung war „Höhere Gewalt“.
In 10,99% der Fälle wurde als Begründung die finanzielle Situation des Theaters angeführt.
In 13,85% wurde die behördliche Anordnung als Grund genannt.
In 13,19% der Fälle war die Begründung die Verschiebung der Produktion.
29,89% gaben „Anderes“ als Begründung an.
Auf welchem Weg wurde die Künstler*innen informiert
19,55% wurden telefonisch informiert.
56,62% wurden schriftlich informiert.
23,83% mussten selbst die Informationen einholen.
Wer informierte?
35,05% wurden durch die Intendanz informiert.
21,44% wurden durch das KBB informiert.
8,25% wurden durch die Spartenleitung informiert.
17,94% wurden durch das Personalbüro oder die Verwaltung informiert.
17,31% wurden durch „Andere“ informiert.
Vor dem Hintergrund der Ergebnisse schätzt der ensemble netzwerk e.V. die Zahlungsmoral und das Krisenmanagement der Theater gegenüber den, in der gegenwärtigen Situation besonders schutzbedürftigen freien Mitarbeiter*innen, als mangelhaft ein.
Das mangelhafte Krisenmanagement der Theater beruht laut ensemble netzwerk e.V. in erster Linie auf folgenden Faktoren:
- Obwohl sozialversicherungspflichtig beschäftigte Gäste nach dem Arbeitsrecht als Arbeitnehmer*innen einzustufen wären und also ein Anrecht auf Lohnfortzahlung hätten, erfahren sie in der gegenwärtigen Situation keinen Schutz.
- Selbstständige Gäste erhalten ebenfalls keinerlei vertragliche Zusicherung für anteilige Gagenfortzahlung in Krisensituationen.
- Mit standardmäßigen Vertragsklauseln, wie der zur „Höheren Gewalt“, sollen Risiko und Last einseitig auf die freien Mitarbeiter*innen abgewälzt werden. Die Rechtmäßigkeit der Klausel „Höhere Gewalt“ wird dabei als unzulässig angesehen. Hier besteht dringender Reformbedarf in den Tarif- und Rahmenverträgen, die Krisensituationen auch für die Künstler*innen sozialverträglich gestalten.
- Die Theaterleitungen agieren (auch schon in den Vertragsvorlagen) wenig im Sinne der Künstler*innen, die einen wesentlichen Anteil am Erfolg der Theater haben. In der gegenwärtigen Lage scheinen sie kaum Entscheidungen zum Schutz dieser Mitarbeiter*innen zu treffen.
- Theaterleitungen teilen ihre Entscheidungen erst auf ein- oder mehrmalige Nachfrage der Künstler*innen mit, die währenddessen dringend auf ihr Geld angewiesen sind.
- Die Theaterleiter*innen reichen ihre Entscheidungen oftmals via KBB, Personalverwaltung oder anderen Abteilungen weiter. Direkte Telefonate, professionelle Briefe oder offizielle Informationsschreiben finden selten statt.
Zwar handelt es sich bzgl. Der Zahlungsmoral nur um ein Segment des Krisenmanagements; im klassischen Krisenmanagement ist die Fürsorge gegenüber dem Personal des Betriebes jedoch immer oberstes Gebot. Vor diesem Hintergrund kann konstatiert werden, dass die Theaterlandschaft und die Mehrzahl der einzelnen Theater in den ersten 14 Tagen unserer Umfrage/Stichprobe nicht adäquat gehandelt haben.
Bezüglich der gesamten Theaterlandschaft konstatieren die Autoren der Auswertung, dass die Theater keine einheitlichen Regelungen treffen: Weder gibt es, laut Pressemitteilung, Regelungen innerhalb des Bühnenvereins, noch innerhalb der Bundesländer oder der einzelnen Theatertypen, was als weiteres schlechtes Zeichen für die mangelhafte Krisenfähigkeit der Theaterlandschaft eingestuft werden muss.
Bemerkenswert sind auch die Ergebnisse hinsichtlich der Theater in der Schweiz und in Österreich. Auch wenn deren Anteil im Vergleich zur Gesamtzahl der Theater deutlich niedriger liegt, als der deutschen öffentlichen Theater, lässt sich hier jedoch insgesamt eine deutlich positivere Tendenz ableiten. Mehr als 50% in der Schweiz und mehr als 40% der Theater in Österreich zahlen ihre Gastkünstler*innen voll aus.
Die Umfrage wurde vom 27.März bis 9.April 2020 durchgeführt.
Ansprechpartnerin für Rückfragen oder Interviewanfragen:
Laura Kiehne – Vorstand und Pressesprecherin ensemble-netzwerk
Laura.kiehne@ensemble-netzwerk.de
0177 96 36 871
Für inhaltliche und methodische Fragen:
Prof. Dr. Thomas Schmidt
Thomas.schmidt@hfmdk-frankfurt.de