Musiktheater im Revier MiR / Foto: Pedro Malinowski
Die europäischen Mitgliedstaaten haben sich darauf geeinigt, ihre CO2-Emissionen bis ins Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu reduzieren. Die Reduktion der CO2-Emissionen ist eine der wichtigsten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, um dem Klimawandel zu begegnen. Kultureinrichtungen haben an dieser Stelle besondere Möglichkeiten, auf die Klimakrise zu reagieren und aufmerksam zu machen.
Als eines der ersten Opernhäuser in Deutschland hat das Musiktheater im Revier Gelsenkirchen (MiR) eine CO2-Bilanz erstellt. Für die Spielzeit 2019/20 lag der CO2-Fußabdruck bei 1.520 t CO2e.
Die Bilanz wurde mit Unterstützung von Julie’s bicycle erstellt. Die gemeinnützige Organisation hat in Großbritannien einen CO2-Rechner für Kultureinrichtungen entwickelt, mit dem der CO2-Fußabdruck von Theatern, Opernhäusern, Museen, Festivals und anderen kulturellen Veranstaltungen errechnet werden kann. Der für das Musiktheater im Revier berechnete CO2-Fußabdruck soll ein erster Schritt zu einer umfassenden Umweltbilanz sein, die neben der Energie- dann auch eine Materialbilanz berücksichtigt. Mit der jetzt erstellten CO2-Bilanz hat das Theater erstmals eine fundierte Grundlage, um darauf aufbauend weitere Maßnahmen zur CO2-Reduzierung ableiten zu können.
Für die CO2-Bilanz des MiR wurden umfangreiche Daten der Bereiche Energie, Wasser, Abfall sowie Reisetätigkeiten der Besucher*innen, Gastkünstler*innen und des eigenen Personals ermittelt und analysiert. Der größte Anteil am CO2-Ausstoß liegt mit über 70% im Bereich Energie. Die Ergebnisse sind durch die Coronapandemie und die temporäre Einstellung des Spielbetriebs positiv beeinflusst worden und mit den Emissionen während des regulären Spielbetriebs nicht vergleichbar. Dennoch zeige sich anhand des Datenmaterials erstmals, wie hoch der CO2-Ausstoß insgesamt sei und welche Anstrengungen zu unternehmen sind, um die nationalen wie internationalen Klimaschutzziele zu erreichen.
Mit seinen Anstrengungen ist das MiR nicht allein. In Zusammenarbeit mit dem Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit fand im Rahmen des diesjährigen Theatertreffens der Berliner Festspiele das Pilotprojekt „Forum Ökologische Nachhaltigkeit im Theater“ statt. Die für das diesjährige Theatertreffen nominierten Theaterhäuser und Produktionsteams waren eingeladen, jeweils bis zu zwei Mitarbeitende als Green Ambassadors (Grüne Botschafter:innen) zur Teilnahme an einem zweiteiligen Veranstaltungsangebot zu entsenden. Das Auftakttreffen fand am 13. April 2021 digital statt, ein weiterführendes Workshop-Programm mit allen Beteiligten ist zu Spielzeitbeginn im Herbst 2021 geplant. Die Teilnehmer:innen waren eingeladen, sich aus unterschiedlichen theaterspezifischen Perspektiven mit den Themen ökologische Nachhaltigkeit und Klimawandel mit bereits bestehenden Initiativen sowie Ansätzen zur Erarbeitung eigener Nachhaltigkeitsstrategien auseinanderzusetzen.
Auf diese Weise will das Theatertreffen als Dialogplattform für mehr Nachhaltigkeit in der Theaterbranche fungieren. Durch einen aktiven Aufbau eines langfristigen Netzwerks für Nachhaltigkeitsthemen im Theater soll ein Austausch zwischen verschiedenen Akteur:innen und Institutionen der deutschsprachigen Theaterbranche gefördert werden. So sollen durch den Dialog Strategien und Projekte für eine nachhaltige Kulturproduktion entwickelt und vorhandene Initiativen vernetzt werden.
Bereits seit einigen Jahren setzen sich die Berliner Festspiele gemeinsam mit der Dachorganisation KBB (Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH) verstärkt für ein nachhaltiges Umweltmanagement ein und haben bereits im Jahr 2013 eine EMAS-Zertifizierung erlangt. Entwickelt von der Europäischen Union ist EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) ein System für nachhaltiges Umweltmanagement und verpflichtet das Unternehmen, sich u. a. Umweltziele zu setzen, fortwährend an der Verbesserung der eigenen Umweltbilanz zu arbeiten und sich jährlich internen und externen Prüfungen zu unterziehen.
Die Kulturstiftung des Bundes hat jüngst mit „Klimabilanzen in Kulturinstitutionen“ ein Pilotprojekt initiiert, das 19 Kultureinrichtungen dabei unterstützt, im „Konvoi-Verfahren“ eine Klimabilanz zu erstellen und den eigenen CO2-Fußabdruck zu ermitteln. Ziel ist es, modellhaft den Prozess der Klimabilanzerstellung im Kulturbereich zu erproben, um Kultureinrichtungen ein Instrument auf dem Weg zur Klimaneutralität aufzeigen. In einem viermonatigen Prozess erhielten die teilnehmenden Einrichtungen sowohl Unterstützung bei der Bilanzierung, um Transparenz über die eigenen CO2-Emissionen zu erzielen, als auch ein spezifisches Klima-Coaching, um den Wissenstransfer im Haus über ein verbessertes Umwelthandeln zu gestalten. In diesem Pilotprojekt geht es zudem um die gemeinsam mit den Einrichtungen zu erörternde Frage, wie ökologische Nachhaltigkeit in einem größeren Maßstab im Fördersystem der Kulturstiftung des Bundes geltend gemacht werden könnte. In Großbritannien, dem Geburtsland von Julie’s bicycle, sind Nachhaltigkeitsbemühungen bereits Voraussetzung für staatliche Förderung.
Die Vermeidung bzw. Reduzierung von CO2-Emissionen ist aber nicht nur aus kultur- und klimapolitischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll. So sind beispielsweise umweltverträgliche, CO2-ärmere Beschaffungsvarianten in 10 von 15 typischen Produktgruppen in ihren monetären Lebenszykluskosten laut der Studie des Öko-Instituts von 2015 günstiger als die konventionellen Beschaffungsvarianten.
Konkret geht es im Pilotprojekt der Kulturstiftung des Bundes um folgende Fragen: Wie groß ist der CO2-Fußabdruck eines Hauses, auf welche Aktivitätsfelder verteilen sich die Emissionen und wo können wesentliche Verbesserungen erzielt werden? Dazu wurden Klimabilanzen nach dem internationalen Berichtsstandard des „Greenhouse Gas Protocol„ (GHG) erarbeitet, das zwischen direkten, indirekten und vor- bzw. nachgelagerten Emissionen unterscheidet. Demgemäß wurden insbesondere die folgenden Emissionsquellen für das Jahr 2019 untersucht: Infrastruktur (Strom- und Wasserverbrauch, Wärme/Kälte, Abfall), Mobilität (der Mitarbeiterinnen, der Besucher, der Künstler und der Gegenstände/Transporte) sowie Beschaffung (für Werkstätten, Verwaltung oder Gastronomie). Mittels dieser Daten erhält jedes Haus eine Aufstellung und Analyse seiner Zahlen, um relevante Einsparpotenziale identifizieren und Handlungsempfehlungen daraus ableiten zu können. Ab Mitte Mai sollen die Ergebnisse zum kostenfreien Download auf der Website der Kulturstiftung des Bundes bereitstehen.
Eindrucksvolle Beispiele für Nachhaltigkeitsbemühungen liefern auch das britische National Theatre (NT) in London sowie das Sydney Opera House in Australien.
Das Team des Nationaltheaters untersucht beispielsweise detailliert, wie viel Energie an den verschiedenen Standorten, wann, wo und warum verbraucht wird, und nutzt dies, um seinen Energieverbrauch zu optimieren. Inzwischen hat auch das Produktionsteam damit begonnen, die Baumaterialien für die Kulissen nach Menge, Art und Ursprung zu untersuchen und zu prüfen, welche umweltfreundlicheren Alternativen es gibt. Als Ergebnis dieser Arbeit wurde damit begonnen, mehr nachhaltige Materialien zu verwenden und ein nachhaltiges Produktionsmodell zu entwickeln. Auf dem Prüfstand stehen auch die Auswirkungen des umfangreichen Tourneeprogramms.
Oft sind es nur kleine Schritte, so wie jüngste Einführung von wiederverwendbaren Bechern der eigenen Marke, die große nachhaltige Wirkungen erzielen. So konnten in nur sechs Monaten durchschnittlich 250.000 Einweg-Plastikbecher eingespart werden. Für das Theater heißt das, dass 75 Prozent des Ziels für das Recycling von Gewerbeabfällen zwei Jahre früher als geplant erreicht wurden. Begleitend zu den nachhaltigen Veränderungen wurde ein neues Umwelthandbuch für die Mitarbeiter erstellt, um die ökologische Nachhaltigkeit weiter zu verankern und alltägliche Verhaltensänderungen innerhalb der Organisation zu fördern.
Insgesamt wurden durch die gezielt nachhaltige Ausrichtung seit 2016 eine 25-prozentige Reduktion des Energie-Kohlenstoffausstoßes für das South Bank Gebäude erreicht. 67 Prozent der Nicht-Produktionsabfälle werden jetzt recycelt, ein großer Schritt in Richtung des selbst gesteckten 75 Prozent Ziels bis 2022.
Für das Sydney Opera House gehört nachhaltiges Handeln nach eigenen Angaben zur DNA. So wurden beispielsweise zwischen 2017 und 2019 85 Prozent des Energiebedarfs mit aus erneuerbaren Ressourcen gedeckt. Seit 2018 wurden 35 Prozent des Wasserverbrauchs eingespart und der CO2 Ausstoß um jährlich 17.500t gesenkt. Die aktuellen Maßnahmen hat das Haus in seinem environmental action plan 2020 – 2023 zusammengefasst.