November 25, 2024

Tobias Werner, Geschäftsführer Musiktheater im Revier: „Wir werden zukünftig nicht nur danach beurteilt, was wir produzieren, sondern vor allem auch wie.“

Tobias Werner / Foto: Pedro Malinowski

tma: Herr Werner, mit der kürzlich veröffentlichten CO2-Bilanz gehen Sie einen ersten Schritt in Richtung Umweltbilanz. Für die Berechnung des CO2-Fußabdrucks des Musiktheater im Revier (MiR) haben Sie ein Analysetool von Julie`s bicycle, einer gemeinnützigen Organisation in Großbritannien, genutzt. Was war ausschlaggebend für die Auswahl dieses Instrumentes und warum steht Ihrer Erfahrung nach kein vergleichbares Tool hiesiger Institutionen zur Verfügung?

Tobias Werner: Das Creative Green Tool von Julie’s bicycle haben wir im Rahmen unserer Teilnahme am EU-Verbundprojekt „C-Change. Arts and culture leading climate action in cities“ kennengelernt, bei dem es darum geht, die umfassende Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt Manchester auf andere Städte zu übertragen. Es gibt in Deutschland zwar auch eine Vielzahl an CO2-Rechnern, allerdings wurde der Rechner von Julie’s bicycle speziell für Kultureinrichtungen entwickelt und war für uns gut nutzbar, weil wir den Großteil der abgefragten Daten schon vorliegen hatten. Wünschenswert wäre es, ein solches Tool auf deutsche Verhältnisse zu adaptieren und allen Kultureinrichtungen zur Verfügung zu stellen, um durch eine kostenlose Nutzung einen umfassenden Datenbestand zu erhalten, der Entwicklungen sichtbar macht und Vergleiche erlaubt. Für den Kultursektor existieren in Deutschland aktuell noch keine Verbrauchszahlen. Diese brauchen wir allerdings, um zu wissen, wo wir überhaupt stehen. Julie’s bicycle hat an dieser Stelle gemeinsam mit dem Art Council England Maßstäbe gesetzt.

tma: Welche konkreten Ziele haben Sie sich am MiR im Bereich Nachhaltigkeit gesetzt? Gibt es weitere regionale und überregionale Projekte zum Thema Nachhaltigkeit, an denen sich das Mir beteiligt?

Tobias Werner: Das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt uns schon lange. Der Schwerpunkt lag zwar bisher auf dem sozialen Bereich, doch jetzt gerät zusätzlich der ökologische Aspekt immer mehr in den Fokus. Auch wenn wir uns intensiv mit dem Thema auseinandersetzen, stehen wir noch am Anfang unserer Bemühungen. Jede Entwicklung beginnt mit kleinen Schritten, die im Laufe der Zeit immer größer werden. Wir wollen zunächst sichtbar machen, was wir tun können und was wir tun müssen, um unseren Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele zu leisten. Da gibt es eine Vielzahl an Maßnahmen. Die Modernisierung der Klima- und Elektrotechnik ist hier natürlich ein größerer Baustein, der von den Kultureinrichtungen nicht ohne Unterstützung der Träger umgesetzt werden kann. Deshalb arbeiten wir parallel dazu an Maßnahmen, die schnell und allein durch uns beeinflusst umgesetzt werden können. Unsere Nachhaltigkeitsstrategie setzt auf Vernetzung und Wissensaustausch, sowohl innerhalb unseres Hauses zwischen den Abteilungen als auch mit Externen. Das Musiktheater im Revier ist Gründungsmitglied der KlimART*isten, einer Gruppe aus Institutionen und Einzelpersonen der Kunst-, Kultur- und Kreativszene, die in Gelsenkirchen und im Ruhrgebiet Fragen des Klimawandels und der Nachhaltigkeit zukunftweisend thematisieren. Darüber hinaus ist unser Haus Projektpartner des Aktionsnetzwerks Nachhaltigkeit.

tma: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus den Ergebnissen dieser ersten Analyse?

Tobias Werner: Durch unsere CO2-Bilanz haben wir erstmals einen umfassenden Überblick über unsere Emissionsquellen. Auch wenn die Ergebnisse durch die temporäre Einstellung des Spielbetriebs infolge der Corona-Pandemie positiv beeinflusst wurden, so zeigt sich dennoch, an welchen Stellen wir ansetzen können und welche konkreten Auswirkungen einzelne Maßnahmen haben. Um unseren Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele der EU zu leisten, müssen auch wir unsere CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 dauerhaft um 55% reduzieren. Das ist eine große Herausforderung, weil ein großer Teil der CO2-Emissionen nur indirekt durch uns verursacht wird und somit nur bedingt beeinflussbar ist. Dennoch haben wir als Kultureinrichtung besondere Möglichkeiten, in der öffentlichen Wahrnehmung auf das Thema Nachhaltigkeit aufmerksam zu machen. Diese Möglichkeit sollten und wollen wir jetzt nutzen.

tma: Inwieweit wirkt Corona als Bremse für das Thema Nachhaltigkeit am Theater?

Tobias Werner: Die Corona-Pandemie ist für die Kultur- und Kreativwirtschaft eine noch nie da gewesene Belastung. Wir haben in unserem Haus versucht, die letzten Monate unter Einhaltung eines strengen und umfangreichen Hygiene- und Infektionsschutzkonzepts bestmöglich zu nutzen. So konnten wir u. a. die Arbeit in unserem Umweltteam trotz Einschränkungen weiter vorantreiben und schon mehrere Maßnahmen und Aktionen umsetzen. Die Corona-Pandemie darf nicht das allein beherrschende Thema sein.

tma: Wie lässt sich aus Ihrer Sicht der Konflikt zwischen künstlerischer Freiheit und Nachhaltigkeit am Theater lösen?

Tobias Werner: In Bezug auf die künstlerische Freiheit sehe ich hier überhaupt keinen Konflikt. Ganz im Gegenteil. Es geht ja nicht darum, die künstlerische Arbeit durch nachhaltiges Handeln einzuschränken. Vielmehr geht es darum, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir uns für die Gegenwart aufstellen wollen. Und dabei kommt es darauf an, mit allen Ressourcen verantwortungsbewusst umzugehen. Das gehört zu unserer unternehmerischen Verantwortung. Die Theater und Opernhäuser in Deutschland erreichen mit ihren Angeboten rund 30 Mio. Besucher:innen pro Jahr. Kulturinstitutionen und -veranstalter haben besondere Möglichkeiten, auf gesellschaftlich relevante Themen aufmerksam zu machen. Wir werden zukünftig nicht nur danach beurteilt, was wir produzieren, sondern vor allem auch wie. Das sollte sich nicht allein in der Kunst, sondern auch darüber hinaus niederschlagen. Die Bewältigung der Klimakrise gehört zu den kreativsten Aufgaben unserer Generation.