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Die von den Ministerpräsidenten der Länder und dem Bundeskanzler am 16. Februar beschlossenen Öffnungsschritte sind für viele Akteure in der Kultur- und Veranstaltungswirtschaft bei weitem nicht der erwartete wirtschaftliche Befreiungsschlag.
Die Beschlüsse sehen eine stufenweise Öffnung in drei Schritten vor. Änderungen für die Kultur- und Veranstaltungswirtschaft bringt erst der zweite Schritt, mit dem ab dem 4. März bei Indoor-Veranstaltungen die Auslastung bis zu 60 % und maximal 6.000 Zuschauer sowie bei Außenveranstaltungen bis zu 75 % und maximal 25.000 Besucher betragen darf. Ab 20. März sollen alle „tiefgreifenderen Schutzmaßnahmen“ entfallen und dann nur noch „niederschwellige Basisschutzmaßnahmen“ gelten.
Der Bühnenverein warnte zuvor vor pauschalen Begrenzungen von Sitzplatzkapazitäten. Uneingeschränkter Zugang zu den Zuschauer:innenräumen muss aus Sicht des Verbands ein gemeinschaftliches Ziel von Politik und Kulturinstitutionen sein, um die künstlerische und gesellschaftliche Kraft von Theatern und Orchestern wieder zur vollen Entfaltung zu bringen. Dazu gehöre auch, dass die Sonderförderungen für die Kulturbranche so lange fortgesetzt werden, bis eine wirtschaftliche Stabilisierung des Kulturbereichs infolge der Beendigung der pandemiebedingten Einschränkungen nicht mehr erforderlich ist.
Carsten Brosda, Präsident des Deutschen Bühnenvereins: „Die Theater und Orchester brauchen ein klares Szenario für die weitere Öffnung. Wer künstlerisches Produzieren und kulturelles Erleben ermöglichen will, muss jetzt verlässliche Regeln und Rahmenbedingungen schaffen. Das ist unserer Ansicht nach gut möglich. Alle haben Erfahrung mit sicheren Veranstaltungen, leistungsfähige Lüftungsanlagen und effektive Hygienekonzepte gewährleisten einen sehr hohen Sicherheitsstandard. Wenn jetzt über Lockerungen für Einzelhandel und Gastronomie geredet wird, darf die Kultur nicht fehlen. Das gilt auch für die weitere Verlängerung der Hilfsprogramme. Insbesondere müssen die Wirtschaftlichkeitshilfen verlängert werden, damit jetzt wieder verstärkt geplant und veranstaltet werden kann. Die Kultur gehört zu den am härtesten getroffenen Branchen. Sie braucht Perspektive.“
Prof. Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates: „Der Deutsche Musikrat begrüßt die Entscheidung von Hubertus Heil, betroffene Branchen durch eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes in der Corona-Zeit weiterhin wirksam zu unterstützen. Dies ist ein Zeichen der Solidarität insbesondere mit der stark in Mitleidenschaft gezogenen Veranstaltungsbranche, wobei je nach Entwicklung der Pandemie eine weitere Verlängerung der Kurzarbeitergeld-Regelung nötig werden könnte. Um dem schwer angeschlagenen Kulturleben dauerhaft wieder auf die Beine zu helfen, bedarf es jedoch mehr: Es bedarf einer echten Öffnungsperspektive für das Musikleben, die dem aktuellen Wissens- und Erfahrungsstand in Bezug auf wirksame Schutz- und Hygienekonzepte Rechnung trägt. Und es bedarf einer Angleichung der Corona-Regelungen für Kulturveranstaltungen wie für das Musizieren in Schulen, Musikschulen und Musikvereinen in den Ländern. Denn das Kulturleben ist ein komplexes künstlerisches und ökonomisches System, das Planungsvorlauf und Planungssicherheit braucht und dessen vitale Basis – das Amateurmusikleben ebenso wie die Einrichtungen der musikalischen Bildung – es gezielt zu fördern gilt.
Aus Sicht des Forums Veranstaltungswirtschaft bleiben insbesondere bei der Definition der Begriffe ‚tiefgreifend‘ und ‚niederschwellig‘ wichtige Fragen offen. Auf der Webseite der Bundesregierung findet sich bereits die Einschränkung, dass die ‚strengeren‘ Schutzmaßnahmen (lediglich) ‚weitgehend’ zurückgenommen werden. Zwar werden Kapazitätsbeschränkungen hier beispielhaft erwähnt, aber die Einschränkung lässt den tatsächlichen Umfang der Rücknahme leider offen.
Prof. Jens Michow, Präsident des Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV) e. V. „Sollte das bedeuten, dass Kapazitätsbeschränkungen vielleicht lediglich reduziert aber grundsätzlich fortbestehen werden, wäre jedenfalls die Veranstaltungsbranche von einem ‚Freedom Day’ nach wie vor weit entfernt. Wirtschaftlichkeit setzt voraus, dass wir zumindest die Chance haben, bei 100 % Kosten auch 100 % Einnahmen zu erwirtschaften. Dazu müssen wir die Hallenkapazitäten voll nutzen können. Solange wir diese Chance nicht haben, lässt sich in unserem Wirtschaftsbereich auch weiterhin nicht von Normalität sprechen.“
„Es muss jetzt sichergestellt werden, dass im Sommer Outdoor-Veranstaltungen ohne jegliche Beschränkungen stattfinden können. Dies schließt Stehplätze, ohne Maske, tanzen und feiern ein“, ergänzt Axel Ballreich, Vorsitzender des LiveKomm e. V. „Wenn wir diese Sicherheit nicht sofort erhalten, werden wir aus Fairness gegenüber unseren Gästen, aber auch im Interesse der Schadensminimierung Veranstaltungen bereits jetzt absagen müssen.“
„Es bleiben viele Fragen weiterhin offen: was passiert im Herbst, wenn die Inzidenz wieder steigt? Welche Hilfen werden auch für den Herbst weiterhin zur Verfügung stehen, sollten sie benötigt werden? Im Rahmen des aktuellen Temporary Framework der EU ist eine Verlängerung über den Juni hinaus nicht vorgesehen. Die Veranstaltungswirtschaft kann sich noch immer auf nichts verlassen und deshalb wird auch die Öffnung im März nicht das Wiederanfahren in allen Bereichen bewirken“, mahnt Linda Residovic, Geschäftsführerin des VPLT e. V.
Ein weiteres Problem in den Formulierungen zeigt Timo Feuerbach, Geschäftsführer des EVVC e. V. auf: „Der schwammige Begriff der tiefgreifenden Beschränkungen lässt viel Spielraum für Spekulationen. Für unsere Häuser sind Kapazitätsbeschränkungen tiefgreifend. Ob das die Beschlüsse hergeben, konnte auch in der PK trotz direkter Frage nicht klargestellt werden. Darüber hinaus ist schon jetzt absehbar, dass die Bundesländer die Beschlüsse sehr unterschiedlich umsetzen werden. So etwas hilft nicht, sondern macht einen regulären Veranstaltungsbetrieb unmöglich.“