Foto: Lisa Streich, Copyright: Ricordi/Harald Hoffmann
Der mit 20.000 Euro dotierte Hindemith-Preis zeichnet im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festival herausragende zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten aus. Im kommenden Jahr geht der 35. Hindemith-Preis an eine 37-jährige Schwedin, deren Musik nicht weniger will, als Zeit und Raum aufzulösen.
»HIMMEL«, »SEGEL«, »MANTEL«, »AUGENLIDER«, »FALTER«, »FLÜGEL« – die Werke von Lisa Streich tragen Namen, die vermuten lassen, dass sie hinter der uns bekannten Welt einen klingenden Kosmos erkennt. Und dieser Kosmos tönt mal sinnlich, mal impulsiv, sphärisch oder kernig. Die Werktitel wollen einen ersten Assoziationsraum öffnen. »Dieser Raum darf aber nicht geschlossen sein, sondern das Werk in gewisser Weise erweitern«, sagt sie, »es sollte also nicht nur drin sein, was draufsteht.« Inspirieren lässt sich die Schwedin von ihrer Heimat Gotland: »Das Licht ist ganz besonders und anders als im Rest der Welt. Es wirkt bisweilen surreal.« Komponieren ist für Lisa Streich eine Kunst des Verbindens – von Musik, Ensemble und Publikum. Während eines Konzerts seien alle gedanklich verbunden, und doch empfinde jeder die Musik anders. »Dann erscheint es mir, als könnten wir die Komplexität des Lebens für einen Augenblick erfassen. Das Tempo kann in die Extreme abschweifen und die Zeit auflösen.«
Die klanglichen Kontraste sowie die hohe technische Kompetenz der Komponistin überzeugte die Jury des Hindemith-Preis 2024:»Lisa Streich zeigt ein handwerklich überragendes Niveau. Sie kreiert einen unglaublichen Farbenreichtum und geht auf bemerkenswerte Weise mit Spannung um. Ihre Musik öffnet die Ohren für neue poetische Klangwelten«, begründet Dr. Christian Kuhnt, Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festival, die Entscheidung.
Lisa Streich freut sich über die Auszeichnung: »Den Hindemith-Preis zu erhalten, ist eine wunderbare Ehre und Freude, auch weil er mir in Schleswig-Holstein verliehen wird – eine meiner Heimaten. Ich habe als Jugendliche viele Konzerte und Meisterklassen beim Schleswig-Holstein Musik Festival besucht. Vor der Preisverleihung, so habe ich mir vorgenommen, werde ich im Stocksee baden.«
Paul Hindemith setzte sich für den musikalischen Nachwuchs ein und war insbesondere bekannt für sein musikpädagogisches Wirken. In seinem Sinne fördert der Hindemith-Preis herausragende junge, zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten. Seit 1990 wird der Preis im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) verliehen. Gestiftet wird er von der Hindemith-Stiftung (Blonay/Schweiz), der Rudolf und Erika Koch-Stiftung, der Walther und Käthe Busche-Stiftung und Gerhard Trede-Stiftung, der Freien und Hansestadt Hamburg und dem Land Schleswig-Holstein. Zu den Preisträgerinnen und Preisträgern der letzten Jahre zählen Matthias Pintscher (2000), Thomas Adès (2001), Jörg Widmann (2002), Lera Auerbach (2005), Anna Clyne (2016), Samy Moussa (2017), SJ Hanke (2020), Mithatcan Öcal (2021), Hannah Kendall (2022) und Alex Paxton (2023).
Die Jury besteht aus Verena Andel (Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein), Dr. Astrid Bernicke (Behörde für Kultur und Medien Hamburg), Prof. Dr. Oliver Korte (Musikhochschule Lübeck), Dr. Christian Kuhnt (SHMF), Frank Siebert (SHMF), Prof. Dr. Jan Philipp Sprick (Gerhard Trede Stiftung und HfMT Hamburg) und Prof. Tabea Zimmermann (Fondation Hindemith).
Biografie
Lisa Streich, geboren 1985 im schwedischen Norra Råda, studierte Komposition und Orgel in Berlin, Stockholm, Salzburg, Paris und Köln bei Johannes Schöllhorn, Adriana Hölszky, Mauro Lanza und Margareta Hürholz. Meisterkurse bei Chaya Czernowin, Steven Takasugi und Beat Furrer runden ihre musikalische Ausbildung ab. Gespielt wurden ihre Werke unter anderem vom NDR Elbphilharmonie Orchester, vom Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, Quatuor Diotima, ensemble recherche, Nouvel Ensemble Moderne, oenm, Eric Ericson Kammerchor, Schwedens Radiochor beim MATA Festival New York, Ultraschall Berlin, IRCAM Paris und Wien Modern. Preise und Stipendien beinhalten den Cité des Arts Paris, Orchesterpreis des Anne-Sophie Mutter Fonds, Busoni Kompositionspreis der Akademie der Künste Berlin, das Bernd Alois Zimmermann Stipendium, den Rom-Preis der Villa Massimo, die Roche Young Commission des Lucerne Festivals, den Ernst von Siemens Musikpreis und den Claussen-Simon-Kompositionspreis. Aktuell ist sie Composer in Residence beim ensemble recherche in Freiburg.