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Ein Beitrag von Franziska Weber, Referentin im Projekt 360°, Staatstheater Nürnberg
Die Entwicklung hin zu mehr gesellschaftlicher Diversität, insbesondere im Kontext von Zuwanderung, ist seit Jahren Thema im Kunst- und Kulturbetrieb – häufig im Zusammenhang mit Fragen zur Bedeutung und Zukunftsfähigkeit von Kultur(einrichtungen). Dennoch bildet sich die Vielfalt der Gesellschaft bisher in kaum einem Theater ab – weder mit Blick auf die Belegschaft, noch im Spielplan oder in der Publikumszusammensetzung. Die Relevanz von Diversitätsorientierung ist angesichts erstarkender rechter Tendenzen, anhaltender strukturelle Diskriminierung in der Gesellschaft sowie bekannt gewordener Fälle von Machtmissbrauch, Rassismus und sexuellen Übergriffen im Theaterbereich jedoch offenkundig.
Während Diversity Management in Profit-Unternehmen, insbesondere im US-amerikanischen Raum bereits seit den 90er-Jahren praktiziert wird, ist der Ansatz im Kulturbetrieb bisher noch wenig verbreitet. Es gibt inzwischen aber einige Initiativen und Förderprogramme im deutschsprachigen Raum, die Diversität als Querschnittsthema im Sinne von Organisationsentwicklung begreifen und Kultureinrichtungen bei der Umsetzung unterstützen (z. B. Programm 360° der Kulturstiftung des Bundes, Diversity Arts Culture Berlin).
Anders als im Profit-Bereich, wo Diversity Management insbesondere als Instrument zur Effizienz- und Profitsteigerung verstanden wird, geht es im Falle öffentlicher und öffentlich geförderter Kultureinrichtungen verstärkt um Legitimationsfragen und gesellschaftliche Verantwortung. Dementsprechend sind die bisher entwickelten Ansätze zur Förderung von Diversität im Kulturbetrieb von einer diskriminierungskritischen Haltung geprägt und zielen in erster Linie auf den Abbau von Barrieren und Chancengleichheit ab. Dazu gehört auch, bestehende Machtstrukturen und die eigene privilegierte Position zu hinterfragen.
Die Annahme, auf denen die Ansätze von Diversitätsentwicklung im Kulturbereich basieren, lautet: Mehr Vielfalt im Personal führt zu einem vielfältigeren Programm, wodurch wiederum ein diverseres Publikum angesprochen wird.1 Man spricht in diesem Zusammenhang auch von den drei „Ps“.
Was Diversitätsentwicklung im Theater konkret bedeuten kann, zeigt beispielhaft folgende Tabelle.
Das 15. Forum Theatercontrolling, das am 12. März 2021 als digitale Veranstaltung des Instituts für Kulturmanagement der PH Ludwigsburg stattfand, setzte sich mit der Frage auseinander, welche Rolle Controlling im Kontext großer Zukunftsthemen und -herausforderungen wie Digitalisierung, Diversität und Nachhaltigkeit spielen kann. Dabei wurde deutlich: Controller:innen sind für erfolgreiche Diversitätsorientierung im Theaterbetrieb von großer Bedeutung, müssen sich dabei aber einigen Herausforderungen stellen.
Zum einen stellt sich die Frage, inwiefern Diversität überhaupt als mess- und bewertbare Größe verstanden werden kann und soll. Natürlich bereichern verschiedene Perspektiven die Institution und ihre Arbeit, aber grundsätzlich geht es bei Diversitätsorientierung in Kulturinstitutionen weniger um die „Nutzbarmachung“ von Diversität als Potenzial, sondern darum, Benachteiligung zu verhindern. Gleichzeitig ist eine Datengrundlage natürlich sinnvoll und wichtig, um bestehende Diskriminierung sichtbar zu machen und herauszufinden, wo man als Institution steht und wie man sich weiterentwickelt (hat).
Ein zweites Grundproblem ist, dass Messbarkeit feste, abgrenzbare Kategorien voraussetzt. Die Bildung dieser Kategorien allgemein sowie einzelne Begriffe werden allerdings immer wieder hinterfragt, was sich an der Bezeichnung „Migrationshintergrund“ gut verdeutlichen lässt. Einen „Migrationshintergrund“ haben laut dem Statistischen Bundesamt Personen, die selbst nicht in Deutschland geboren sind oder mindestens ein Elternteil haben, auf das dies zutrifft.2
Wenn wir das Personal eines Theaters betrachten, wäre eine aus Österreich stammende Marketingleiterin nach dieser Definition eine „Person mit Migrationshintergrund“, eine schwarze Schauspielerin, deren Eltern beide in Deutschland geboren sind, aber nicht. Die Kategorie „Migrationshintergrund“ sagt also nicht unbedingt etwas darüber aus, ob eine Person von Rassismus betroffen ist. Wählt man jedoch andere Kategorien, erschwert das den Vergleich mit der (Stadt-)Gesellschaft. Wie viele Menschen in Deutschland sich als „Person of Color“ identifizieren, wissen wir beispielsweise nicht.
Zwei zentrale Fragen, die sich im Zusammenhang mit Diversitätsorientierung an Controlling stellen, sind folgende:
- Wie divers ist unser Haus?
- Wie diversitätsorientiert ist unser Haus?
Erstgenannte Frage zielt auf die Zusammensetzung der Belegschaft (der Führungsebene, der Ensembles) und des Publikums. Es geht also um das Monitoring von Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten. Bislang ist die Datenlage in den meisten Theatern sehr schlecht, aber auch die entsprechenden Vergleichsdaten zur (Stadt-)Gesellschaft sind zum Teil schwer zu bekommen, beispielsweise wenn es um die Anzahl von Menschen mit Behinderung oder um die Art und den Grad der jeweiligen Einschränkung geht.
Bezüglich der Frage, welche Dimensionen von Diversität abgefragt werden sollen, kann das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Anhaltspunkte liefern. Dort ist in § 1 das Ziel formuliert, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“. Allerdings sollten die genannten Begriffe nicht unhinterfragt als Kategorien übernommen werden, insbesondere nicht der Terminus „Rasse“.
Berücksichtigt werden sollte auch, dass Personen teilweise nicht aufgrund eines (zugeschriebenen) Merkmals diskriminiert werden, sondern mehrere Dimensionen (z. B. Geschlecht und Hautfarbe) zusammenwirken können. Man spricht dabei von „Intersektionalität“.
Was die Herangehensweise angeht, hat der neue deutsche organisationen – das postmigrantische netzwerk e. V. in einer 2018 erschienenen Broschüre unter anderem folgende Richtlinien formuliert:
- Möglichkeit der Selbstidentifikation (anstatt einer vorgegebenen Zuschreibung), z. B. durch freies Feld, in dem Selbstbezeichnung eingetragen werden kann
- Freiwilligkeit der Teilnahme
- Transparenz über Sinn und Zweck der Erhebung
- Anonymität
- Beteiligung von Vertreter:innen zu befragender Gruppen bei Entwicklung von Kategorien und Fragen
- Möglichkeit, mehrere Identitäten anzukreuzen
Einen Eindruck, wie das Ergebnis einer Erhebung von Gleichstellungsdaten im Kulturbereich aussehen kann, liefert der Report Equality, Diversity and the Creative Case des Arts Council England, der auf dessen Homepage zum Download bereitsteht.3
Es geht, wie oben schon angedeutet, aber nicht nur um die Frage, wie divers eine Organisation ist, sondern auch darum, wie mit dieser Vielfalt umgegangen wird, welche Chancen Mitarbeitende innerhalb einer Institution haben oder mit welchen Barrieren Besucher:innen konfrontiert sind. Da Gleichstellungsdaten anonym erhoben werden müssen, ist eine Verknüpfung mit bereits vorhandenen Informationen (z. B. Gehalt, Krankheitstage etc.) allerdings nicht möglich. Es braucht daher Mitarbeiter:innen- und Besucher:innenbefragungen, in denen die Erhebung soziodemographischer Daten direkt mit Fragen nach der Zufriedenheit im Betrieb, erlebten Barrieren in der Institution, eigenen Diskriminierungserfahrungen usw. verbunden werden.
Natürlich sollte auch das Programm des Theaters auf Diversität und Diversitätsorientierung hin untersucht werden. Außerdem gibt es neben den bereits genannten noch weitere Fragen, die im Kontext von Diversitätsorientierung und Controlling relevant sein können. Beispielsweise die Frage nach den Kosten und der Wirksamkeit einzelner Maßnahmen. Mit diesen Aspekten hat sich Carsten Herrmann-Pillath näher beschäftigt und kommt dabei zu dem Schluss, dass insbesondere Letzterer eine große Herausforderung darstellt: Die Erträge von Diversity Management seien „nur schwer meßbar [sic] und zeitlich und sachlich schwer zurechenbar“4, beispielsweise im Fall langfristig angelegter Mentoring-Programme.
Wenn Diversitätsorientierung in der Gesamtstrategie des Theaters verankert werden soll, scheint darüber hinaus eine ganzheitliche Betrachtungsweise sinnvoll. Herrmann-Pillath schlägt dazu eine Diversity Scorecard (DSC) vor. Sie unterscheidet sich von der Balanced Scorecard dadurch, dass die Rolle und das Commitment der Leitung stark hervorgehoben und die Vielfalt der Belegschaft (workplace profile) und die Kund:innenbeziehungen (diverse customer/community partnerships) eng verknüpft werden. Zudem, so Herrmann-Pillath, sei es ratsam und im Sinne des Diversity-Gedankens konsequent, bei der Entwicklung der Scorecard unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen.5
Welche Kennzahlen in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen können, zeigt die folgende Tabelle.
Die Bedeutung von Diversität im Kulturbetrieb wird – auch vor dem Hintergrund sinkenden Besuchsinteresses – in den kommenden Jahren eher zu- als abnehmen. Es ist also dringend notwendig, sich den oben genannten Fragen zu stellen und Theatercontrolling kann dabei eine entscheidende Rolle spielen. Das Ludwigsburger Forum Theatercontrolling hat sich daher entschieden, neben anderen Schwerpunkten auch das Thema Diversität weiter zu verfolgen. Wir dürfen gespannt sein, welche Ideen und Best-Practice-Beispiele die Controller:innen dazu entwickeln werden.
Quellen / Fußnoten
1) Aikins, J. K. / Gyamerah, D. (2016): Handlungsoptionen zur Diversifizierung des Berliner Kultursektors. Hg. v. Citizens for Europe / Vielfalt entscheidet, unter https://www.kulturprojekte.berlin/fileadmin/user_upload/Presse/FINAL_mit_Grafik_auf_Doppelseite.pdf, zuletzt abgerufen am 27.3.2021.
3) Arts Council England (2020): Equality, Diversity and the Creative Case – A data report 2018/19, unter: https://www.artscouncil.org.uk/sites/default/files/download-file/ACE_DiversityReport_Final_03032020_0.pdf, zuletzt abgerufen am 27.3.2021.
Diversity Arts Culture: Homepage, unter: https://diversity-arts-culture.berlin/, zuletzt abgerufen am 27.3.2021.
4 u. 5) Herrmann-Pillath, C. (2009): Diversity Management und diversitätsbasiertes Controlling: von der Diversity Scorecard zur Open Balanced Scorecard, in: F. Wall und R. Schröder, eds., Controlling zwischen ShareholderValue und Stakeholder Value, München, 149-177.
5) Herrmann-Pillath, C. (2010): Zahlt sich Diversity Management aus? Zur Messung von Qualität und Erfolg des Diversity Management, unter: https://heimatkunde.boell.de/de/2010/06/01/zahlt-sich-diversity-management-aus-zur-messung-von-qualitaet-und-erfolg-des-diversity, zuletzt abgerufen am 27.3.2021.
Kulturstiftung des Bundes / 360°, unter: https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/projekte/nachhaltigkeit_und_zukunft/detail/360_fonds_fuer_kulturen_der_neuen_stadtgesellschaft.html, zuletzt abgerufen am 27.3.2021.
neue deutsche organisationen (2018): gleich ≠ gleich Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten & positive Maßnahmen für einen effektiven Diskriminierungsschutz, unter: https://neuedeutsche.org/fileadmin/user_upload/Publikationen/RZ_NDO_Fact_ADGD_1_05.pdf, zuletzt abgerufen am 27.3.2021.
1) Sharifi, A. / Micossé-Aikins, S. (2019): Diversitätsorientierte Organisationsentwicklung im Kulturbetrieb, in: Deutschplus (Hg.): Grundlagen und Handlungsfelder diskriminierungskritischer Organisationsentwicklung, unter: https://www.deutsch-plus.de/wp-content/uploads/2019/12/izv-deutschplus-sammelband.pdf, zuletzt abgerufen am 27.3.2021.
2) Statistisches Bundesamt, Definition Migrationshintergrund, unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Glossar/migrationshintergrund.html, zuletzt abgerufen am 27.3.2021.