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Interview mit Dr. Annett Baumast
inhaberin und geschäftsführerin baumast. kultur & nachhaltigkeit
tma: Frau Dr. Baumast, Sie beschäftigen sich seit über 20 Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit und seit knapp 10 Jahren mit Nachhaltigkeit und Umweltmanagement im Theater. Wie hat sich, Ihrer Erfahrung nach, die Bereitschaft der Entscheidungsträger zu nachhaltigem Handeln, insbesondere in Theatern, Opern- und Konzerthäusern sowie bei Festivals im deutschsprachigen Raum seither verändert?
Dr. Annett Baumast: In den letzten Jahren hat eine erste – in vielen Fällen noch sehr zaghafte – Öffnung dem Thema Nachhaltigkeit gegenüber stattgefunden. Einige wenige Häuser setzen sich inzwischen sehr ernsthaft mit nachhaltigem Handeln auseinander, aber in der „breiten Masse“ der Theater-, Opern- und Konzerthäuser sind Nachhaltigkeitsmaßnahmen noch alles andere als Standard.
tma: Warum ist Nachhaltigkeit Ihrer Meinung nach so wichtig?
Dr. Annett Baumast: Wir – und damit meine ich Menschen allgemein – sind heute mit einer Vielfalt an Herausforderungen konfrontiert, die die Vereinten Nationen in 17 nachhaltigen Entwicklungszielen, auch Agenda 2030 genannt, festgehalten haben. Es geht darum, unsere Lebensgrundlagen so zu gestalten, dass wir alle heute, morgen und auch übermorgen ein gutes Leben auf diesem Planeten führen können.
tma: Was ist heute gemeint, wenn wir von „Nachhaltigkeit im Theater“ sprechen?
Dr. Annett Baumast: Nachhaltigkeit wird klassisch über die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales definiert. Das gilt auch für das Theater. Es geht also um Strategien und Maßnahmen, die innerhalb dieser drei Dimensionen zu einem guten Leben beitragen.
tma: Welche Bereiche eines Theaterbetriebes sind dabei in den Blick zu nehmen?
Dr. Annett Baumast: Alle! Es gibt keinen Bereich, der ausgenommen wäre. Sowohl in der Verwaltung, als auch in Technik und Kunst lassen sich Nachhaltigkeitsmaßnahmen entwickeln und umsetzen.
tma: Wie lassen sich Ihrer Meinung nach, künstlerische Freiheit und Nachhaltigkeit vereinbaren?
Dr. Annett Baumast: Bei den künstlerischen Inhalten darf es meiner Meinung nach, keine Kompromisse und keine Vorschriften von außen geben. Entschließt sich ein Haus, in einer Spielzeit ein bestimmtes Thema aus dem Nachhaltigkeitskontext zum Fokus zu machen, umso besser. Bei der Umsetzung ist Kreativität gefragt, um Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen. Muss der Wassergraben auf der Bühne wirklich 60cm tief sein oder reichen auch 40cm, wenn dadurch Wasser und Energie eingespart werden können? Hier muss eine gewisse Offenheit der Beteiligten vorhanden sein.
tma: Wo lassen sich die schnellsten und größten Nachhaltigkeitserfolge im Theaterbetrieb erzielen?
Dr. Annett Baumast: Das lässt sich so pauschal nicht sagen, denn es kommt immer auch auf die Ausgangssituation an. Habe ich mich noch nie mit dem Energieverbrauch in meinem Haus auseinandergesetzt, so kann es durchaus sein, dass ich hier mit nur wenigen Maßnahmen sehr schnell sehr gute Erfolge erzielen kann. Gleiches gilt für Themen rund um Inklusion. Die Frage ist aber nicht zuletzt, wie man in diesem Kontext Erfolg definiert. Nachhaltigkeit ist eher eine andauernde Reise als ein Endzustand.
tma: In welchem Umfang lassen sich Einsparungen durch Nachhaltigkeit erzielen?
Dr. Annett Baumast: Das Programm Ökoprofit, das aus Österreich kommt und auch in einigen deutschen Kommunen läuft, propagiert Kosteneinsparungen durch Umweltschutzmaßnahmen und ist damit sehr erfolgreich. Zwar ist es nicht speziell auf den Theaterbetrieb zugeschnitten, aber es haben schon einige Häuser teilgenommen und damit sowohl die Umwelt als auch das eigene Budget geschont.
tma: Was ist konkret erforderlich, um Life-Performing-Arts nachhaltig zu produzieren und anzubieten?
Dr. Annett Baumast: Eine nachhaltig ausgerichtete Produktion sollte die ökologischen Ressourcen schonen, ein faires, inklusives und gesundes Arbeitsverhältnis bieten, mit den finanziellen Ressourcen pfleglich umgehen und sich an den Grundlagen einer guten Unternehmensführung („good governance“) orientieren. Bei all dem darf natürlich das Publikum nicht vergessen werden, das in diese Anstrengungen mit einbezogen und transparent darüber informiert werden sollte.
tma: Welchen Effekt hätte eine CO2-Steuer Ihrer Meinung nach auf Theaterproduktion und Theaterangebote?
Dr. Annett Baumast: Eine solche Lenkungsabgabe soll ja dazu führen, dass sich CO2-intensive Produkte und Prozesse verteuern. Auswirkungen sehe ich hier durch eventuell notwendige Umstiege auf andere Materialien beim Bau von Bühnenbildern oder in der Herstellung von Kostümen. Auch für die Mobilität hätte eine solche Steuer Folgen. Es kommt aber natürlich darauf an, wie eine CO2-Steuer konkret ausgestaltet ist.
tma: Welche Prozesse empfehlen Sie einem Theater das Nachhaltigkeit forcieren will?
Dr. Annett Baumast: Es ist absolut zentral, Verantwortlichkeiten zu definieren und personelle Ressourcen für das Vorhaben einzuplanen. Nachhaltigkeit lässt sich nicht „nebenbei“ etablieren. Von höchster Wichtigkeit ist nicht nur die Unterstützung durch die Leitung, sondern auch deren Vorbildfunktion im Hinblick auf nachhaltiges Handeln.
tma: Wie beurteilen Sie den Stand der deutschsprachigen Bühnen in puncto Nachhaltigkeit im europäischen und internationalen Vergleich?
Dr. Annett Baumast: Meiner Meinung nach besteht im Vergleich zu verschiedenen Ländern, allen voran Großbritannien, wo das Thema ökologische Nachhaltigkeit seitens der Geldgebenden eingefordert wird, klar Nachholbedarf.
tma: Welche Bühnen im deutschsprachigen Raum sind aus Ihrer Sicht Vorreiter in puncto Nachhaltigkeit und warum?
Dr. Annett Baumast: Es gibt einige Häuser, die bei verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen gut aufgestellt sind und eine Vorreiterrolle einnehmen. Nennen möchte ich das Staatstheater Hannover, das viele gute Maßnahmen im Bereich Ökologie umgesetzt hat, z.B. ein konsequentes Energiemanagement, und das Staatstheater Darmstadt, das in Deutschland in Sachen Barrierefreiheit und Inklusion deutlich weiter ist als viele andere Häuser. Nicht nur in Bezug auf das Publikum, sondern auch bei den eigenen Mitarbeitenden.
tma: Welches Theater, welche Oper, Konzerthalle oder welches Festival ist aus Ihrer Sicht heute international führend in diesem Bereich und warum?
Dr. Annett Baumast: Hier käme einerseits das Sydney Opera House in Frage, das sich schon sehr lange mit ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit auseinandersetzt und viele Maßnahmen umgesetzt hat. Das Haus entwickelt sich in Sachen Nachhaltigkeit kontinuierlich weiter und macht zudem die eigenen Anstrengungen transparent. Es ist ja leider so, dass viele Gutes tun, aber nicht darüber sprechen. Andererseits würde ich den Cirque du Soleil nennen, der natürlich keine klassische Bühne darstellt. Auch hier reicht die Beschäftigung mit nachhaltigen Themen weit zurück, vor allem setzt man sich mit den ökologischen Folgen des eigenen Handelns, das sehr material- und mobilitätsintensiv ist, auseinander und konnte schon viel erreichen: von der Senkung der CO2-Emissionen, z.B. durch den Anschluss an das öffentliche Stromnetz bei verschiedenen Shows, über eine nachhaltige Beschaffungspolitik bis hin zur Entwicklung von Richtlinien für die nachhaltige Produktion. Das Wohl der Mitarbeitenden steht ebenfalls im Zentrum der Anstrengungen.
tma: Was kommt Ihrer Meinung nach in den nächsten fünf Jahren in diesem Zusammenhang auf die Bühnenbetriebe hierzulande zu?
Dr. Annett Baumast: Gesellschaftlich sehen wir, dass das Thema Nachhaltigkeit – vor allem in der jüngeren Generation – nicht nur immer mehr zur Selbstverständlichkeit, sondern auch eingefordert wird. Das Publikum, aber auch die eigenen Mitarbeitenden werden das Thema in den nächsten Jahren vermehrt in die Theater tragen. Teilweise lässt sich das bereits beobachten. Es reicht heute einfach nicht mehr, auf der Bühne gesellschaftsrelevante Themen zu verhandeln, sich selber aber keine Gedanken darüber zu machen, wie man diese im eigenen Haus umsetzt. Diese Diskrepanz wird hinterfragt werden. Wir haben in den letzten Jahren zudem eine Verschärfung der Gesetzgebung im Bereich Nachhaltigkeit gesehen, die auch die Theater betrifft und weiter betreffen wird. Ein Beispiel war die EU-Energieeffizienz-Richtlinie, die einige Theater verpflichtete, ein Energie-Audit durchzuführen. Es gibt immer noch Stimmen, die sagen, Theater müssen nicht nachhaltig sein. Ich bin der Meinung, Theater können nachhaltig sein und Verantwortung für ein nachhaltiges Handeln übernehmen. Und es ist immer besser, selber zu entscheiden, als – aufgrund von Gesetzen oder Vorgaben von Geldgebenden – Maßnahmen unter Druck umsetzen zu müssen.
Interview: jp