September 16, 2024

So gelingt Kommunikation im Theater

Foto & Copyright: Christina Barandun

tma: Frau Barandun, Sie haben Theaterwissenschaften studiert und arbeiten als Beraterin in den Bereichen Organisationsentwicklung und Führungskräfte-Coaching. Seit gut zehn Jahren beraten Sie auch Kulturbetriebe und freie Ensembles. Im Zentrum steht dabei häufig das Thema Kommunikation. Was macht Kommunikation im Theater aus Ihrer Sicht so bedeutend?

Christina Barandun: Nicht nur im Theater, sondern auch in Wirtschaft, Industrie und Verwaltung steht Kommunikation als Kernthema im Fokus von Schulungen. Je mehr wir in ein Wertesystem hineinleben, in dem wir aus einem positiven Menschbild heraus die Eigenverantwortung, Selbstwirksamkeit und in der Konsequenz ein vernetztes, teambasiertes Arbeiten fördern möchten, wird Kommunizieren zentral. Je weniger es die eine mächtige entscheidende Stimme gibt, desto mehr müssen wir Fähigkeiten entwickeln, wie wir uns als Gruppe austauschen, wie wir gemeinsam Entscheidungen treffen wollen, wer welche Rollen übernimmt. Weil dies so anstrengend und ungewohnt ist und viel von uns Einzelnen fordert, sehnen wir uns manchmal – widersprüchlicherweise – doch wieder nach der starken Hand.


tma: Welche Fehler beobachten Sie häufig in der Kommunikation in Kulturbetrieben?

Christina Barandun: Kulturbetriebe und noch mehr freie Ensembles haben ein unglaublich agiles, fluides Mindset, das Wirtschafts-Unternehmen sich oft mühsam erarbeiten müssen. Die Geschwindigkeit, auf Krankheitsfälle, Umbesetzungen, technische Probleme, etc. in kürzester Zeit zu reagieren, ist enorm. Was umgekehrt oft fehlt, ist eine zuverlässige Struktur, um mit der Agilität entspannt umzugehen. Oft begegne ich dem Gefühl von Überhitzung und permanentem Feuerlöschen.

tma: Was bedeutet eigentlich „besser kommunizieren“?

Christina Barandun: Wenn diese Aussage auf einer Wunschkarte in meinen Workshops steht, frage ich reflexartig: Was meinst Du genau? Denn es kann alles bedeuten: Mehr persönliche Kontakte, klarer formulierte Arbeitsaufträge, frühzeitigere Informationen, achtsamere Wortwahl, … Hier geht es darum zu präzisieren, worauf sich dieser Wunsch bezieht.

tma: In welchem Bereich gibt es häufiger kommunikative Probleme. In Tanz-, Opern- oder Schauspiel-Ensembles, in Orchestern, in der Technik oder im Bereich der Führung und Verwaltung?

Christina Barandun: Dazu habe ich keine verlässlichen Daten, das weiß ich nicht. Ich finde die Entwicklung großartig, dass mittlerweile überhaupt über Probleme offen gesprochen wird und Fehler weniger tabuisiert werden. Die Lust an neuen Wegen, Austausch, Lösungen und Weiterbildungen steigt. Vor zehn Jahren wurde ich als Coachin oft noch als eine Bestrafung erlebt, heute wird Coaching als eine Bereicherung oder sogar Geste der Wertschätzung von Mitarbeitenden oder Führungskräften gesehen. So kommen wir langsam in eine gemeinsame Lernkultur, die uns allen zunehmend leichter fallen wird.

tma: Welche Unterschiede erleben Sie in den einzelnen Bereichen hinsichtlich der Beratungsresistenz?

Christina Barandun: Wenn jemand mit mir arbeiten möchte, ist meistens eine Offenheit gegeben. Beratungsresistent könnte jemand nur sein, wenn ich eine Person zu einer Lösung, die ich mir für sie in den Kopf gesetzt habe, drängen wollte. Da ich das nicht will, nehme ich jegliche Widerstände, die aufkommen, als Einladung an, gemeinsam weiterzuforschen. Denn sie haben ja einen guten Grund, vorhanden zu sein. Und wenn die Kund*innen und ich merken, dass wir nicht miteinander arbeiten können, beenden wir die Arbeit. Dann aber nicht, weil sie beratungsresistent sind, sondern weil wir nicht zueinander passen.

tma: Welche Bedeutung hat Ihrer Erfahrung nach, der Umgang mit dem Thema Hierarchie für eine gelingende Kommunikation?

Christina Barandun: In meiner Wahrnehmung ist nicht Hierarchie an sich ein Problem, sondern wie wir Führung leben und ob wir wirklich die notwendigen vielschichtigen Strukturen und Absprachen der Teamarbeit beherrschen. Gute Führungskräfte können uns eine starke Hierarchie wie einen hierarchiefreien Raum erleben lassen. Und umgekehrt können in vermeintlich flachen Hierarchien und Teamarbeit durch nicht definierte Funktions- und Aufgabenverteilungen und die entstehenden Leerräume viele unterschwellige Ermächtigungen und Hierarchien entstehen.

tma: Was sind typische Herausforderungen und Themen, mit denen Sie in Kulturbetrieben konfrontiert werden?

Christina Barandun: Ich treffe oft auf viel Emotion, Leidenschaft, Kreativität und Lebendigkeit, was ich sehr sympathisch finde. Diese Aufregung liegt auch in der Natur der Sache: je bühnennäher die Mitarbeitenden arbeiten, desto mehr steigt das Stresslevel. Dieses fluide Umfeld mit vielen spontanen Änderungen macht es allerdings nicht immer einfach, gemeinsame Regeln und Abläufe festzuhalten und vor allem umzusetzen, die für eine Arbeit im Team nötig sind. Gerade Kreative fühlen sich dann oft in ihrer Autonomie eingeschränkt.

tma: Woran lässt sich gelingende Kommunikation im Kulturbetrieb messen?

Christina Barandun: Indem Sie die Mitarbeitenden fragen.

tma: Wie sähe eine ideale Kommunikation im Kulturbetrieb aus?

Christina Barandun: Die sieht in jedem Betrieb anders aus – und ändert sich kontinuierlich. Ich biete mich als Ideenfläche an, gemeinsam die für diesen Moment ideale Kommunikation für den jeweiligen lebendigen Organismus aus Menschen, Aufgabe, zur Verfügung stehenden Mitteln, Umfeld, etc. gemeinsam zu entwickeln. Idealerweise bauen wir Lernstrukturen ein, damit sie sich auch laufend den Gegebenheiten entsprechend verändern kann.

tma: In Ihrem aktuellen Buch geht es um einen geschützten Raum? Was hat es damit auf sich?

Christina Barandun: Mitglieder eines künstlerischen Ensembles befinden sich oft in verschiedenen Phasen eines kreativen Prozesses, in einer kreierenden-forschenden, verarbeitenden-trauernden, lernenden-integrierenden oder erholenden Phase. Jede dieser Phasen ist für mich ein Raum, der mit den anderen in einer dynamischen Verbindung steht (daher dynamic safe spaces). Parallel dazu gibt es organisatorische, emotionale und künstlerische Reibungen, die in diesen Probenprozess hineinwirken. Meine Idee mit dem Modell der dynamic safe spaces im Spannungsdreieck war es, eine gemeinsame Sprache zu finden, mit der Kunstschaffende in Ensembles ihre Spannungen leichter analysieren, klarer in Worte fassen und damit auch möglicherweise leichter lösen können oder bewusster mit ihnen umgehen können.

tma: Wie lange dauert es in der Regel mit Ihren Methoden, bis Kommunikation im Kulturbetrieb funktioniert?

Christina Barandun: So mechanistisch sehe ich meine Arbeit und auch das Wesen eines Kulturbetriebes nicht. Denn Kommunikation funktioniert immer. Jeder Betrieb kommuniziert – immer. Wir können nicht nicht kommunizieren, wie Paul Watzlawick so treffend sagte. Ich habe keine „Methoden“, sondern biete mich aus systemischer Sicht eher als Reflexionsmembran an, mit Hypothesen und auch sehr praktischen Ideen, die wir gemeinsam testen. In meiner Welt soll Kommunikation nicht funktionieren, sondern dient der Seele eines Betriebes.

tma: Was ist notwendig, um eine gute Kommunikationskultur im Theater nachhaltig zu verankern?

Christina Barandun: Zeit für Selbstreflexionsräume zu schaffen. Dabei meine ich keine emotionalen Stuhlkreise. Zumindest nicht nur. Sehr häufig höre ich den Satz: Jetzt, da wir gerade darüber reden, fällt mir ein… Wir brauchen verankerte Denk- und Austauschräume, die nicht weggespart werden, sondern in denen lebendige Entwicklung organisch entstehen kann, wie Kantine, Betriebsfeste, langsame, kreative Besprechungen, etc. Vielleicht finden wir dann auch als Gesellschaft wieder Begegnungsräume, in denen sich uns „fremde“ Menschen für uns in wertvolle Mitglieder einer stetig wachsenden Gemeinschaft wandeln.

Buch-Tipp:

Christina Barandun
Dynamic Safe Spaces – Der geschützte Raum
Erfolgreiche Kommunikation in künstlerischen Ensembles und Kulturbetrieben

2023
Broschur. 270 Seiten. 13,5 x 21 cm
ISBN 978-3-89581-599-7
18,– €